Meine Berichterstattungsländer in der Arbeitsgruppe für Angelegenheiten der Europäischen Union in der SPD-Bundestagsfraktion

Im 20. Deutschen Bundestag bin ich europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Das Thema „Europa“ ist mir eine Herzensangelegenheit und bildet daher einen der wesentlichen Schwerpunkte meiner politischen Arbeit. Innerhalb des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union beschäftige ich mich unter anderem mit finanz- und wirtschaftspolitischen Themen, der Erweiterung der EU sowie mit den Mitglieds-, Kandidaten- oder Nachbarländern der EU. Darüber hinaus kümmere ich mich als europapolitischer Sprecher um die Koordinierung meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen im Europaausschuss.

Als Berichterstatter für einige eurasische Länder bin ich Ansprechpartner meiner Fraktion für Anfragen oder Themen, die in Verbindung mit der Situation in diesen Staaten stehen. Außerdem wirke ich in Arbeitsgemeinschaften der Fraktion und in verschiedenen parlamentarischen Delegationen an Strategien für die europäischen und internationalen Beziehungen mit. Um dafür umfassend über die Aktualität und die politische Lage in meinen Berichterstattungsländern informiert zu sein, pflege ich einige Kontakte zu Parlamentarierinnen und Parlamentariern weltweit, sowie zu verschiedenen Gruppen und Organisationen vor Ort. Unter den EU-Mitgliedsstaaten sind meine Berichterstattungsländer Frankreich, Portugal, Spanien und Ungarn. Bei den Kandidatenländern fallen Albanien, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien, die Türkei und seit neustem auch die Ukraine in meine Zuständigkeit. Zu den Nachbarstaaten, für die ich Berichterstatter bin, zählen Armenien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Kosovo, die Russische Föderation und weitere GUS-Staaten.

Im Folgenden möchte ich Sie gerne mit auf eine kleine Rundreise durch einige dieser Länder nehmen und dabei das ein oder andere zu ihnen erzählen.

Frankreich

Lassen Sie uns doch in meiner saarländischen Heimat, dem Wahlkreis Sankt Wendel starten. Von hier aus ist es gar nicht mehr weit bis in unser größtes Nachbarland. Das Saarland, als eine Grenzregion zu Frankreich, verbindet Deutschland und Frankreich. Die Beziehungen unserer beiden Länder sind aufgrund der gemeinsamen Geschichte von besonderer Bedeutung. Als Saarländer freut es mich daher ganz besonders, Teil der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung zu sein. Dieses Gremium setzt sich aus 100 Mitgliedern zusammen, darunter 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie 50 Abgeordnete der Assemblée nationale. Seit der letzten Sitzung am 7. November 2022 bin ich Mitglied im Vorstand der Versammlung. Die enge Zusammenarbeit lässt sich auch an den Handelsbeziehungen zwischen unseren Ländern erkennen. Innerhalb der EU gehen 15% der Ausfuhren aus Frankreich nach Deutschland und 17% der Einfuhren Frankreichs kommen aus Deutschland, damit ist Frankreich einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands.

Gerade der gemeinsame Handel macht es erforderlich, dem Wirtschaften im Herzen Europas auch gemeinsam einen Rahmen zu geben. Von diesem Anspruch profitieren auf der einen Seite die Unternehmen durch die Harmonisierung von regelnden Vorgaben, da so mögliche bürokratische Hürden sukzessive abgebaut werden. Auf der anderen Seite bedeutet die Vereinfachung der grenzüberschreitenden Mobilität eine Erleichterung für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf deutscher und französischer Seite, die alltäglich in Ihr jeweiliges Nachbarland pendeln. Indem sich beide Seiten stets bemühen, Richtlinien der EU möglichst im Einklang in nationales Recht umzusetzen, können sich neben Gewerbetreibenden auch die Verbraucherinnen und Verbraucher auf gleichwertige Standards verlassen, die durch diese Harmonisierung entstehen.

Die enge politische Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich ist natürlich an mancher Stelle herausfordernd; in der gegenseitigen Bereicherung liegen aber viele Chancen. Wenn die unterschiedlichen systemischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen beider Länder aufeinandertreffen und zum Ausgleich gebracht werden, sind die verschiedenen Perspektiven, mit der zwei Freunde auf eine Sache schauen, eine große Stärke.

Als Deutscher und gerade auch in meiner Funktion als saarländischer Abgeordneter bereitet es mir angesichts unserer Geschichte eine große Freude, zu sehen, dass zwei ehemalige Erzfeinde wie Frankreich und Deutschland einen Aussöhnungsprozess begonnen haben und sich heute Freunde nennen. Genau wie die Freundschaften zwischen zwei Menschen erreicht auch jene zweier Länder kein endgültiges Stadium, sondern unterliegen einer gewissen Dynamik. Sie will gepflegt und weiterentwickelt werden. Daher bin ich davon überzeugt, dass diese Freundschaft, die in der Bevölkerung entsteht und in deutsch-französischen zwischenmenschlichen Begegnungen ihre Grundlage findet, auch im Politischen durch entsprechende Institutionen und Strukturen gefördert und vertieft werden muss. Diese Auffassung ist für mich Auftrag und Motivation, mich persönlich und politisch für die Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft einzusetzen.

Dass Deutschland und Frankreich sich nach der bewegten und mitunter furchtbar düsteren Geschichte, die beide verbindet, derart annähern konnten, liegt vor allem daran, dass sie heute entscheidende Werte entschieden miteinander teilen. Auf der Basis von Freiheit, Demokratie, Solidarität, Respekt und Toleranz werden Unterschiede entweder überwunden oder zur Bereicherung.

Diesen Anspruch formuliert auch das Motto der Europäischen Union (EU): Ihre Mitgliedsländer verstehen sich als „In Vielfalt Geeint“. In diesem Sinne, arbeite ich neben unserem direkten Nachbarn Frankreich auch als Berichterstatter für unter anderen folgende Länder Europas.

Portugal

Portugal ist seit dem 1. Januar 1986 EU-Mitgliedsland und entsendet 21 Abgeordnete  in das Europäische Parlament. Innerhalb der EU-Länder werden 12% der Ausfuhren Portugals nach Deutschland exportiert, während sich die Einfuhren des Landes aus Deutschland auf 13% belaufen. Zu Beginn des Jahres 2022 konnte unsere portugiesische Schwesterpartei bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erringen. Mit dem portugiesischen Regierungschef António Costa hat unser Bundeskanzler Olaf Scholz einen wichtigen Partner im Europäischen Rat, um die europäischen Haushaltsregeln fortzuentwickeln. Dies ist ein deutliches Signal auch für die gemeinsame Weiterentwicklung einer starken und einigen Europäischen Union. Gemeinsam haben Scholz und Costa angekündigt, sich dafür einzusetzen, Wachstum sicherzustellen, die finanzielle Tragfähigkeit zu erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen zu sorgen.

Spanien

Spanien ist ebenfalls seit dem 1. Januar 1986 EU-Mitgliedsland und entsendet mit seinen rund 47 Millionen Einwohner*innen 51 Abgeordnete ins Europäische Parlament. Innerhalb der EU-Länder gehen 11% des Exports von Spanien nach Deutschland.  Bei den Importen aus EU-Mitgliedsländern ist Deutschland mit 14% das Land, von dem Spanien die meisten Einfuhren bezieht. In Spanien konnte nach den Neuwahlen am 10. November 2019 eine linke Koalitionsregierung gebildet werden. Auch diese wird von einer unserer Schwesterparteien, der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, mit ihrem Ministerpräsidenten Pedro Sánchez angeführt. Dieser sozialdemokratische Erfolg im viertgrößten Land der EU ermöglichte einen Aufbruch für ein faires, humanes und weltoffenes Europa.

Ungarn

Seit dem 1. Mai 2004 ist Ungarn Mitglied der EU und entsendet ebenfalls 21 Abgeordnete in das Europäische Parlament. Auch mit Ungarn betreibt Deutschland regen Handel: Von den 78% der Ausfuhren Ungarns an EU-Mitgliedsstaaten gehen 28% nach Deutschland. Von den Einfuhren Ungarns kommen 71% aus EU-Mitgliedsstaaten, davon 24% aus Deutschland. Allerdings ist die Rechtstaatlichkeit in Ungarn seit einigen Jahren in Gefahr, obwohl sich das Land offiziell rechtstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Nichtregierungsorganisationen zufolge wird die unabhängige Justiz durch ein Frühpensionierungssystem, welches von der Regierung eingeführt wurde, gezielt untergraben. Dadurch können nun regierungskritische durch regierungsnahe Richter*innen ersetzt werden. Die Pressefreiheit ist ebenfalls bedroht, denn es gibt Praktiken, regierungskritische Journalist*innen aus ihrem Beruf zu drängen. Dabei eignen sich regierungsnahe Oligarch*innen Zeitungen an und entlassen anschließend deren kritische Berichterstatter*innen. Außerdem hat die ungarische Regierung erst kürzlich ein homophobes und transfeindliches Gesetz erlassen, welches Bildungsprogramme oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homo- und Transsexuellen solidarisch erklären, untersagt. Ebenso soll es keine Bücher zur Sexualaufklärung mehr geben, d.h. das Thema wird auch im Unterricht tabuisiert.

Wie mein Kollege Johannes Schraps mit dem ich gemeinsam in der AG Europa der SPD-Bundestagsfraktion zusammenarbeite, bin auch ich der Überzeugung, dass als Konsequenz europäische Gelder zurückgehalten werden müssen. Denn „wer europäisches Geld will, muss sich auch an europäische Regeln halten“. Am 15. September 2022 hat das Europäische Parlament Ungarn in einer Erklärung bereits den Status einer Demokratie abgesprochen. Demnach herrsche „unter Sachverständigen […] zunehmend Einigkeit darüber, dass Ungarn […] zu einem hybriden System der Wahlautokratie geworden“ ist. Daher muss die Situation in Ungarn nicht nur weiterhin genauestens beobachtet werden, sondern auf die Erkenntnisse müssen politische Konsequenzen folgen. Letzten Endes geht es um den Schutz der Rechte und Freiheiten der EU-Bürger*innen und die Verteidigung der europäischen Demokratie.